Ein Beitrag von Michael Möller
Unsere Stärken? Wie gehen wir damit um? Prompt fallen hier zwei Sätze aus der Persönlichkeitsentwicklung ein: „Stärken stärken und Schwächen schwächen“ oder „Schwächen in Stärken verwandeln“. Oder eine Situation: Das klassische Bewerbungsgespräch mit der Bitte des Personalers an den Bewerber, seine drei Stärken und drei Schwächen aufzuzählen. Puuh, eine schwierige Frage. Kann doch jede Antwort falsch sein. Und denken wir doch erst an den Alltag: Wer von seinen Stärken erzählt, mag schnell egoistisch oder arrogant wirken. Wer von seinen Schwächen berichtet, kann voreilig als schwach hingestellt werden. Ja, was ist denn nun richtig? Wie verhalten wir uns denn mit Stärken?
Wer wie eben beschrieben einseitig kategorisiert und seine Mitmenschen nach Stärke und Schwäche und damit nach „stark“ und „schwach“ einordnet, verkennt, dass er selbst Schwächen hat. Vielleicht hat er sie ausgeblendet oder verdrängt, doch sind sie deswegen nicht aufgelöst. In unserer leistungsorientieren Gesellschaft haben Starke eher Vorteile, auch wenn jeder Schwächen als notwendig und der Person immanent betrachtet und in der Diskussion und im Dialog das Sprechen und gar beharren auf Stärken unsympathisch werden können.
Stärken und Schwächen im Ausgleich
Für Berater und Coaches wie auch für die eigene, persönliche Entwicklung ist gegenüber den Eigenschaften eines Klienten oder Kunden bzw. auch für den Menschen selbst eine aufgeschlossene, empathische Grundhaltung wichtig. In der Persönlichkeitsentwicklung sprechen wir dann von Ressourcen und einer ressourcenorientierten Arbeitsweise. Denn tatsächlich können vermeintliche Schwächen sich als hilfreich erweisen und Stärken als hinderlich – ganz und gar abhängig davon, um welches Thema und welchen Kontext es gerade geht. Wer seine Schwächen verdrängt, abwertet oder verleugnet, der verleugnet dabei einen Teil von sich selbst. Er tritt auf seine Schatten, um hier in Richtung von C. G. Jung zu gehen. Schwächen gehören ebenso zu uns wie unsere Stärken. Betrachten wir diese beiden Worte unter dem Oberbegriff der Ressource, so kann hier beispielhaft eine Waage gesehen werden. In der einen Waagschale haben wir unsere Stärken, in der anderen unsere Schwächen. Wir haben nun die Aufgabe, mit ihnen zu haushalten und ausgeglichen umzugehen. Habe ich ich meinen Fokus zu sehr auf meinen Schwächen, so lohnt es sich, wieder einen Blick in die andere Waagschale zu werfen. Zu jeder Schwäche gibt es auch eine Stärke. Sie helfen uns, im Gleichgewicht, ja waaggerecht im Leben zu bleiben.
Es gibt immer einen Grund, warum wir eine vermeintliche Schwäche haben, auch wenn das in der eigenen Betrachtung nicht bewusst sein mag. Es kann um eine Schwäche gehen wie „Ich bin nicht sportlich“ oder „Ich kann nicht gut vor Leuten sprechen“. Es kann aber auch um eine Schwäche gehen wie „Ich bin es nicht wert, dass…“ oder „Ich schaffe das doch sowieso nicht, weil…“ Wenn wir kontextuell von einem Bewerbungsgespräch oder Entwicklungsgespräch an der Arbeit ausgehen, werden die letzten beiden Sätze sicherlich nicht öffentlich fallen. Sie stehen eher als unbewusste innere Überzeugung hinter dem, was dann verbalisiert wird. Solche Sätze werden eher im persönlichen Kontext oder in der Beratung und im Coaching fallen, wenn es an die Substanz, an die Wurzel eines Themas geht.
Stärken und Schwächen als Wurzel
Die Bezeichnung „Wurzel“ möchte ich sodann als weiteren Begriff für unsere Stärken und Schwächen einführen. Sie gehören zu uns, wir sind mit ihnen und sie mit uns verwurzelt. Mit ihnen stehen wir auf zwei Beinen im Leben. Bin ich verwurzelt, kann mich ein Sturm oder ein Stoß nicht zu Fall bringen.
Gehen wir hier weiter, so sollten wir uns unseren Wurzeln bewusst sein, also unsere Stärken und Schwächen kennen. Wenn wir uns aktiv oder passiv nur auf Stärken oder nur auf Schwächen konzentrieren, so wird diese einseitige Betrachtungsweise auf Dauer keinen Erfolg für uns bringen, wir werden durch sie ins Wanken kommen. Sind wir uns unserer beiden Seiten bewusst, so können wir in Situtationen unsere Stärken und Schwächen bewusst einsetzen. Das zeugt erstens von einem guten Selbst-bewusst-sein und damit von einem sich positiv entwickeln könnenden Selbstwert. Wenn ich mir meiner Schwächen klar bin, kann ich sie vertreten und zugleich im Gleichgewicht meine Stärken präsentieren, ohne dabei egoistisch oder arrogant zu wirken – in diesem Fall präsentiere ich mich gar sympathisch, menschlich.
Zu jeder Schwäche gibt es auch eine Stärke. Wenn uns etwas nicht liegt, so gibt es sicherlich ein Pendant dazu, welches für eine bestimmte Sache hilfreich und wertvoll ist. Gerade im Arbeitskontext wird es immer wichtiger, sich dessen bewusst zu werden. Sich selbst zu kennen ist eine wichtige Eigenschaft – eine Ressource – der teils gegenwärtigen und zukünftigen Arbeitswelt, da die Arbeit immer ressourcenorientierter gestaltet werden wird. Flexibilität wird notwendiger und die Arbeit in einem Team erwünscht das Einbringen der eigenen Stärken und das Kennen der eigenen Schwächen, um anderen die Teilaufgaben zu überlassen, für welche sie eine Stärke besitzen.
Nicht zuletzt ist das Kennen der Stärken und Schwächen eine wesentliche Ressourche dafür, seine eigene Enerige richtig einschätzen zu können und damit zu haushalten. In einer komplexer werdenden Welt und einer sich weiter verdichtenden Arbeitsbelastung ist das Kennen der eigenen Grenzen eine wichtige Fähigkeit, sich vor unnötigen psychischen und physischen Belastungen zu schützen – Burnout und Resilienz in einem Zuge. Vielleicht sieht darin jemand eine Schwäche – doch ist es eine besondere Stärke, sich das eingestehen zu können und nach außen vertreten zu können. Das ist doch stark!
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